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Pressegespräch „Ein Jahr Hartz IV“

Nur wenige Tage vor Inkrafttreten des 4. Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt ("Hartz IV") regelte der Gesetzgeber die gerichtliche Zuständigkeit für die neuen Sozialgesetze: Seit dem 1. Januar 2005 ist die Sozialgerichtsbarkeit nicht nur für Verfahren nach dem SGB II (insbes. Arbeitslosengeld II), sondern auch für Verfahren nach dem SGB XII (Sozialhilfe) und dem Asylbewerberleistungsgesetz zuständig. Am 27. Januar 2006 ließ die Präsidentin des LSG Niedersachsen-Bremen Monika Paulat in einem Pressegespräch das erste Jahr "Hartz IV" Revue passieren.

Eingangsentwicklung

Präsidentin Paulat berichtete von einem -nach relativ verhaltenem Start zum Jahresanfang 2005- beinahe dramatischen Anstieg der Eingangszahlen im Laufe des Jahrs 2005. Insgesamt gingen bei den acht niedersächsischen Sozialgerichten in den "neuen Zuständigkeiten" (Grundsicherung für Arbeitssuchende; Sozialhilfe; AsylbLG) im Jahre 2005 fast 6.400 Klagen und über 3.100 Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz ein. Die Gesamtzahl der Eingänge bei den niedersächsischen Sozialgerichten erhöhte sich damit von 25.241 (2004) auf 32.472 (2005), also um ca. 30 %.
Beim LSG Niedersachsen-Bremen gingen im Jahr 2005 in den "neuen Zuständigkeiten" 1.050 neue Verfahren ein. Insgesamt verzeichnete das LSG über 4.700 Eingänge (2004: 3.775 Eingänge; Eingangssteigerung: über 25 %).

Geschäftsentwicklung der niedersächsischen Sozialgerichte 1992 – 2005

Geschäftsentwicklung des LSG Niedersachsen-Bremen 1992 - 2005

Personal

In das Jahr 2006 blickt Präsidentin Paulat zuversichtlich: Nachdem die Sozialgerichtsbarkeit im vergangenen Jahr im Wesentlichen nur über zeitlich befristete Abordnungen von Richtern aus der Verwaltungsgerichtsbarkeit und von Juristen aus den ehemaligen Bezirksregierungen personell verstärkt wurde, hat das Niedersächsische Justizministerium die Sozialgerichtsbarkeit zum Jahresanfang 2006 dauerhaft um 32 Richterstellen und 17 Stellen im nichtrichterlichen Dienst verstärkt. Von den 32 Richterstellen entfallen 22 auf die acht niedersächsischen Sozialgerichte und 10 auf das Landessozialgericht.

Die Streitpunkte

Als Schwerpunkte der Verfahren in den "neuen Zuständigkeiten" nannten Präsidentin Paulat und Vizepräsident Peter Taubert

  • Fragen um die Anrechnung von Einkommen und Vermögen,
  • Rechts- und Unterhaltsfragen im Zusammenhang mit nichtehelichen Lebensgemeinschaften und sog. Patchworkfamilien (Familien oder Lebensgemeinschaften, in denen -ggf. neben gemeinsamen Kindern- Kinder des einen oder sogar beider Partner leben)
  • Angemessenheit der Kosten der Unterkunft (einschließlich Nebenkosten; Leistungen für Energiekostenrückstände oder –nachforderungen).

Aufgrund der existentiellen Bedeutung der Leistungen nach dem SGB II, XII und AsylbLG erreichte der Anteil der Verfahren im Einstweiligen Rechtsschutz über 50 %. Diese Verfahren werden bevorzugt und kurzfristig entschieden. Aufgrund der gebotenen Abwägung zwischen den Erfolgsaussichten einerseits und den drohenden Nachteilen bei der Versagung von Leistungen andererseits sind von den Gerichten z.T. auch Leistungen vorläufig zugesprochen worden. Dagegen sind die Hauptsacheverfahren, in denen die Rechtsfragen abschließend entschieden werden, in vielen Fällen noch anhängig.
Aufgrund der starken Arbeitsbelastung durch die Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz in den "neuen Zuständigkeiten" sind im Jahr 2005 überdurchschnittlich viele Hauptsacheverfahren unerledigt geblieben, und zwar auch in den "klassischen" Zuständigkeitsbereichen wie Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-, Unfall- und Pflegeversicherung.

Entscheidungen

Eine Vielzahl von Entscheidungen der niedersächsischen Sozialgerichte und des LSG in den "neuen Zuständigkeiten" sind in den juristischen Datenbanken (juris, beck-online und www.sozialgerichtsbarkeit.de), in den juristischen Fachzeitschriften und auf der Internet-Seite der niedersächsischen Sozialgerichtsbarkeit (www.landessozialgericht.niedersachsen.de) veröffentlicht. Aufgrund der Entscheidungen (u.a.) des LSG Niedersachsen-Bremen ist auch bereits der Verordnungsgeber tätig geworden: So wird mittlerweile die Eigenheimzulage als geschütztes Einkommen angesehen (vgl. Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 25. April 2005 –L 8 AS 39/05 ER- einerseits und Erste Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 22. August 2005, BGBl I, 2499 andererseits).

Sozialgerichtstag

Selbst nach Klärung von rechtlichen Grundsatzfragen ist ein spürbares Absinken der Eingangszahlen nicht zu erwarten: Unverändert werden die Gerichte die erforderlichen Tatsachenermittlungen und Einzelfallabwägungen vornehmen müssen. Zudem plant der Gesetzgeber bereits Nachbesserungen ("Hartz-IV-Optimierungsgesetz").
In diesem Zusammenhang verwies Präsidentin Paulat auf die am 25. Januar 2006 erfolgte Gründung des Sozialgerichtstags. Dieses Gremium wird –nach dem Beispiel des seit langem etablierten Verkehrsgerichtstags- dem Gesetzgeber Vorschläge für künftige Reformen unterbreiten, auch zur Straffung des Verfahrensrechts.

Über das Pressegespräch berichteten u.a. die Cellesche Zeitung, die Neue Presse (Hannover) und die Hannoversche Allgemeine Zeitung in ihren Ausgaben vom 28. Januar 2006.

Eingangszahlen der nds. Sozialgerichte in den Rechtsgebieten SGB II, SGB XII und AsylbLG

Eingangszahlen des LSG Niedersachsen-Bremen in den Rechtsgebieten SGB II, SGB XII und AsylbLG

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