Niedersachsen klar Logo

Vergütungsanspruch einer Kieferorthopädin nach Verzicht auf Ermächtigung

Der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hat am 13. September 2006 ( Az: L 3 KA 90/05) über die Berufung einer Kieferorthopädin entscheiden, die gegenüber der Techniker Krankenkasse (TKK) Ansprüche auf Vergütung für an Mitgliedern der TKK erbrachte kieferorthopädische Leistungen geltend gemacht hat. Die Kieferorthopädin hatte zum 30. Juni 2005 auf Ihre Ermächtigung zur vertragszahnärztlichen Versorgung verzichtet, jedoch auch weiterhin Kassenpatienten behandelt. Gestützt auf § 95b Abs. 3 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) verlangte sie von der Krankenkasse ihrer Patienten eine Vergütung nach der für Privatpatienten geltenden Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ), was die TKK jedoch ablehnte.

§ 95b Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch 5. Buch (SGB V) lauten wie folgt:
(1) Mit den Pflichten eines Vertragsarztes ist es nicht vereinbar, in einem mit anderen Ärzten aufeinander abgestimmten Verfahren oder Verhalten auf die Zulassung als Vertragsarzt zu verzichten.
(2) (…)
(3) Nimmt ein Versicherter einen Arzt oder Zahnarzt in Anspruch, der auf seine Zulassung nach Absatz 1 verzichtet hat, zahlt die Krankenkasse die Vergütung mit befreiender Wirkung an den Arzt oder Zahnarzt. Der Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse ist auf das 1,0fache des Gebührensatzes der Gebührenordnung für Ärzte oder der Gebührenordnung für Zahnärzte beschränkt. Ein Vergütungsanspruch des Arztes oder Zahnarztes gegen den Versicherten besteht nicht. Abweichende Vereinbarungen sind nichtig.

Die Vorinstanz (Sozialgericht Hannover) hatte die Klage auf Zahlung von Vergütung abgewiesen (Az.: S 35 KA 52/05).

Nachdem in Niedersachsen im Jahr 2005 mehrere Kieferorthopäden auf ihre Ermächtigungen / Zulassungen zur vertragszahnärztlichen Versorgung verzichtet hatten, waren deren Vergütungsansprüche gegen Krankenkassen Gegenstand bereits mehrerer Gerichtsverfahren (vgl. Pressemitteilungen des LSG vom 17. Januar 2005, 17. Mai 2005, 22. Juni 2005 und 18. August 2005). Bei dem jetzt ergangenen Urteil des 3. Senats vom 13. September 2006 handelt es sich um die erste zweitinstanzliche Hauptsacheentscheidung.

Das Landessozialgericht hat die Auffassung des Sozialgerichts Hannover, dass kein Vergütungsanspruch gegenüber der Krankenkasse besteht, im Ergebnis bestätigt. In der mündlichen Urteilsbegründung hat der Senatsvorsitzende u. a. ausgeführt:
Bei der Auslegung der anzuwendenden Vorschriften sei entscheidend auf die dokumentierte Absicht des Gesetzgebers abzustellen, dass ein "Kollektivaussteiger" sich im höchsten Maße rechtswidrig verhalte, die Grundlagen des vertragsärztlichen Systems zerstöre und den Grundsatz der Beitragssatzstabilität gefährde. Zum Schutzes des Sozialversicherungssystems sowie der rechtmäßig handelnden Zahnärzte müsse deshalb verhindert werden, dass der "Kollektivaussteiger" Sondervorteile durch seine Erwartung erlange, er werde weiterhin von der gesetzlichen Krankenkasse - dann allerdings zu den von ihm gewünschten Bedingungen - in Anspruch genommen werden. Aus diesem Grunde sei eine Behandlung bei einem "Kollektivaussteiger" grundsätzlich auf die Zeit beschränkt, bis durch Neuzulassungen der Versorgungszustand erreicht werde, der vor der rechtswidrigen kollektiven Aktion bestanden habe. Unter Umständen sei - z.B. in größeren Städten - der Patient auch auf eine Behandlung durch zugelassene Vertragsärzte zu verweisen. Im Rahmen der "nachgehenden Verantwortlichkeit" setze der Vergütungsanspruch nach § 95b Abs. 3 SGB V ferner voraus, dass die Behandlung als vertragsärztliche Leistung erbracht werde (d.h. unter Einhaltung der Vorschriften des Leistungs- und Leistungserbringsrechts). Somit müsse der kieferorthopädischen Behandlung ein von der Krankenkasse vorab genehmigter Behandlungsplan zugrunde liegen und der Versicherte müsse seinen (später ggf. durch die Krankenkasse zu erstattenden) Eigenanteil von 20 % der Kosten an den behandelnden Kieferorthopäden gezahlt haben (§ 29 SGB V). Dies sei bei den streitbefangenen Behandlungen jedoch nicht geschehen.
Die Klägerin habe auch keine Möglichkeit, die Behandlungskosten direkt gegenüber dem Patienten abzurechnen (§ 95b Abs. 3 S. 3 SGB V). Das sei die Folge aus der pflichtwidrigen Absprache zum Kollektivausstieg noch während der bestehenden Zulassung und Zugehörigkeit zum vertragszahnärztlichen System.

Leitsatz:
Die nichtamtlichen Leitsätze des Urteils vom 13. September 2006 (L 3 KA 90/05) lauten:

  1. Vertrags(zahn)ärzte, die in einem mit anderen (Zahn)ärzten aufeinander abgestimmten Verhalten auf ihre Zulassung verzichtet haben ("kollektiver Zulassungsverzicht"), sind grundsätzlich so lange zur Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung weiter berechtigt aber auch verpflichtet, bis ihre frei gewordenen Vertrags(zahn)arztstellen wieder besetzt sind.
  2. Für sie folgt aus § 95b Abs. 3 S. 1 SGB V, dass sie dem vertrags(zahn)ärztlichen System in Nachhaftung verbunden bleiben. Behandeln sie Versicherte, haben sie deshalb nur dann einen entsprechenden Vergütungsanspruch gegen die Krankenkassen, wenn sie die Vorschriften des Leistungsrechts und der den Behandlungsanspruch konkretisierenden Regelungen des Leistungserbringungsrechts des SGB V eingehalten haben.
  3. Zu den Voraussetzungen entsprechender Vergütungen bei kieferorthopädischen Behandlungen.

Der Senat hat wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

Entscheidung im Volltext: L 3 KA 90/05 - Kieferorthopäden

Artikel-Informationen

erstellt am:
02.10.2006
zuletzt aktualisiert am:
31.05.2010

zum Seitenanfang
zur mobilen Ansicht wechseln